Ich liebe Geburtstage. Ich brauche keine in Alkohol versinkende Party, aber in meiner Studentenzeit habe ich die Geburtstagswoche und den Geburtstagsmonat für mich eingeführt. Das bedeutet: Einen Monat bewusst viele schöne Sachen machen – alleine und mit den mir wichtigen Menschen. Und eine Woche lang besonders schöne Sachen machen. An meinem Geburtstag frühstücke ich gerne schön und freue mich später – je nach Wochentag – über Besuch. Es gibt Bowle, Snacks, Sekt und immer, immer Erdbeerkuchen.
Meine Ansprüche an mich waren viel zu hoch
Seit drei Jahren lade ich wieder zu meinem Geburtstag ein. Die Jahre dazwischen hatte ich das Gefühl, keinen wirklichen Grund zum Feiern zu haben. Ich hatte beruflich nicht genug geschafft. Die einzigen Neuigkeiten, die ich regelmäßig hatte, betrafen Schwangerschaften und Babys. Um Missverständnissen vorzubeugen: Jedes meiner Kinder ist gewünscht, gewollt und sehr geliebt! Um sie herum hätte ich mir aber mehr eigenes Leben gewünscht. Ich wollte kreativ arbeiten und morgens mit Vorfreude auf den Alltag aufstehen.
Die Realität sah anders aus. Nach zu wenig Schlaf war es lange Zeit ein reines Durch-den-Tag-Schleppen. In dieser Zeit fühlte ich mich viel älter als jetzt. Denn ich war unglücklich, von mir enttäuscht und permanent kaputt. Meine Ansprüche an mich waren so hoch, dass ich heute noch nicht daran reichen würde. Sie haben mich so sehr blockiert, dass ich kaum mehr geschafft habe, als eines: maßlos von mir enttäuscht zu sein.
Schaut man hinter die Fassaden, kämpft jeder Mensch mit sich
Meine Freundinnen aus der Schulzeit sind alle bis dahin kinderlos. Unsere Biografien ab dem Abschluss sind sehr unterschiedlich – das hat mich lange verunsichert. Ich habe keine schicken Urlaube gemacht; tatsächlich war ich noch kaum irgendwo. Unsere Wohnung war lange praktisch gelegen, aber nicht schön. Vor der Tür unseres Hauses wartet bis heute kein fahrbereites Auto. Meine Entscheidung für vier Kinder hat mich beruflich zurückgehalten. Ich bin gebunden an die Betreuungszeiten und Gesundheit meiner Kinder. Ich arbeite in Zeitfenstern und wenig selbstbestimmt. Das war und ist für mein Selbstverständnis und mein Ego oft schwer.
Vor gut zwei Jahren habe ich mit einer Freundin gesprochen, die beruflich nur so durch das Leben geflogen ist. Sie beklagte, dass es sie traurig macht, wenn sie ihre Freunde in ihren Häusern, mit ihren Partnern und den Kindern besucht. Und dass sie das Gefühl hätte, etwas zu verpassen und zu versagen. Unser Umgang miteinander ist seit diesem ehrlichen Gespräch viel leichter geworden. Jede von uns bestätigt die andere in ihren Lebensentscheidungen, die Erfolge und schönen Ereignisse werden gefeiert und die Misserfolge betrauert. Neid ist ebenso überflüssig und giftig wie Häme. Schaut man hinter die Fassaden, kämpft jeder Mensch mit sich. Egal wie erfolgreich, kuschelig oder idyllisch es von außen wirkt.
Kleine Eitelkeiten mit Augenzwinken nehmen
Wenn Freundinnen zum 10. Mal ihren 28. Geburtstag feiern, möchte ich nur rufen: Hey, wer will denn wirklich immer 28 sein? Oder der fürchterliche Spruch: „Eine Dame fragt man nicht nach ihrem Alter (oder nach ihren Erfahrungen mit Männern).“ Warum denn? Weil wir alterslose Jungfrauen sein müssen? Bitte nicht. Ja, die ersten grauen Haare irritieren mich auch (So sehr, dass ich vermehrt färbe und tatsächlich diese borstigen weißen Dinger mit der Pinzette entferne). Ich wünsche mir auch keine herabhängenden Mundwinkel oder tiefe Furchen auf der Stirn. Die freundlichen Lachfalten um die Augen mag ich sowohl bei mir als auch bei den anderen umso lieber. Die Gespräche sind jetzt interessanter als mit 28, weil bei vielen Menschen weniger Ego und mehr Ehrlichkeit da ist. Kleine Eitelkeiten werden eher mit einem Augenzwinkern genommen. Das empfinde ich als einen großen Gewinn.
Sich selbst kennenlernen: unersetzlich
Ums Abi herum habe ich lauthals verkündet, dass ich alle existenziellen Erfahrungen bis 30 machen wollte, um darüber zu schreiben. Wie ein Fluch hat mich das begleitet. Ich habe nicht bedacht, wie viel Schmerz mir das Erleben und Verarbeiten bereiten würde. Ich habe geliebten Menschen dabei zugesehen, wie sie durch Krankheit oder Sucht verschwinden. Ich habe Menschen beerdigt und verloren. Mich verliebt und entliebt. Ich bin sowohl voller Freude zusammen – als auch wieder auseinandergezogen. Ich habe unterwegs viele Selbsterkenntnisse gewonnen und mich von Bildern von mir verabschiedet. Ich bin nach Berlin gezogen, weil ich dachte, dort gehöre ich hin. Nur um festzustellen, dass mich die Großstadt mit den vielen Menschen im Alltag überfordert. Ich habe auf dem Land gelebt, um zu merken, dass Schafe nicht die richtigen Nachbarn für mich sind. Mittlerweile verstehe ich mich selber in den meisten Momenten ganz gut. Ich freue mich darauf, mich selber neu und weiter kennenzulernen.
Feiert euch mit jedem Umweg und jedem Special Effect.
Meine Mutter ist mit 55 gestorben. Wir waren gerade alle ausgezogen und nach einer langen sehr unglücklichen Ehe hatte sie sich neu orientiert, als der Krebs sie erwischt hat. Sie hat sich um die schönste und freieste Phase in ihrem Leben betrogen gefühlt. Das macht mich bis heute unendlich traurig. Denn ich glaube ehrlich, dass jede Lebensphase uns viel Schönes bietet. Wir können uns gegen das Unglück entscheiden und für das Glück. Das fordert manches Mal unbequeme Schritte und kann anstrengend sein. Aber dauerhaftes Unglück ist anstrengender. Oder wie Voltaire es sagte: Weil es sehr förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein. Und das bitte immer und besonders am Geburtstag. Feiert jedes Jahr, freut euch über jedes gewesene und kommende Jahr und feiert euch mit jedem Umweg und jedem Special Effect.