Cytotec verschwindet vom Markt: Mehr als „nur“ ein Wehenmittel

Ärztin schreibt auf einem Laptop
© Unsplash/ National Cancer Institute

Cytotec (Misoprostol) wird in Deutschland bald nicht mehr vertrieben. In einem Offenen Brief fordern mehrere Frauengesundheits-Organisationen, die Entscheidung für den erschwerten Zugang zum Medikament zurückzunehmen.

Misoprostol – vom Magenschutz zur Geburtsmedizin

Der Wirkstoff Misoprostol wurde ursprünglich als Magenschutzmittel entwickelt. Zu diesem Zweck ist Cytotec auch weltweit zugelassen.

Jedoch macht der Wirkstoff auch den Gebärmutterhals weich und kann Kontraktionen der Gebärmutter auslösen.

Aus diesem Grund hat sich Cytotec zu einem Standardmedikament in der Gynäkologie und Geburtshilfe etabliert. Schätzungen zufolge nutzten etwa die Hälfte der deutschen Kliniken Cytotec zur Geburtseinleitung.

Hierbei handelt es sich um einen sogenannten „Off-Label-Use“.

Was bedeutet Off-Label-Use?

Off-Label-Use bedeutet, dass ein Medikament gegen eine Krankheit, für einen Zweck oder bei einer Personengruppe eingesetzt wird, für den es von den Zulassungsbehörden keine Genehmigung hat.

Cytotec kann also im Rahmen der Therapiefreiheit in der Geburtsmedizin genutzt werden, obwohl es dafür nicht speziell zugelassen ist.

Negativ-Schlagzeilen: schwere Nebenwirkungen & Komplikationen

Schon Februar 2020 lösten Schlagzeilen hitzige Diskussionen über den Einsatz von Cyotec in der Geburtsmedizin aus. Medienunternehmen berichteten über Fälle, bei denen das Medikament einen Wehensturm bei einer Frau haben soll.

Wehen ohne Pause:

Es war auch die Rede von Kindern, die unter Sauerstoffmangel und mit bleibenden Hirnschäden geboren wurden, sowie von Frauen, bei denen die Gebärmutter gerissen ist.

Experten machten jedoch nicht den Wirkstoff Misoprostol an sich, sondern eine ungenaue oder zu hohe Dosierung für die Nebenwirkungen verantwortlich.

In einer Stellungnahme vom Februar 2020 sprach sich die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) für Cytotec aus. Darin schreiben sie:

Der Wirkstoff Misoprostol ist das effektivste Medikament zur Geburtseinleitung und führt vor allem bei der oralen Anwendung zu weniger Kaiserschnitten als mit anderen Medikamenten (Dinoproston, Oxytocin).

Erschwerter Zugang zu Cytotec: Offener Brief

Im April 2021 haben sich Behörden und Importeure auf den Importstopp von Cytotec geeinigt. Das Medikament wird in Deutschland also nicht mehr vertrieben.

Wollen Ärzte den Wirkstoff weiterhin verschreiben, gibt es nur noch eine Möglichkeit: den Einzelimport aufgrund einer ärztlichen Verschreibung.

Mit einem Offenen Brief äußern sich jetzt Frauengesundheitsorganisationen (darunter der Deutsche Hebammenverband e.V. (DHV), der Berufsverband der Frauenärzte e. V. (BVF) und die Deutsche Gesellschaft für Frauengesundheit e.V.) zum erschwerten Zugang zu Cytotec.

Eines ihrer Argumente: Cytotec wird in der Gynäkologie und Geburtshilfe vielfältig eingesetzt:

  • Zur Vorbereitung des Muttermundes vor einer Operation (zum Beispiel bei einer gestörten Frühschwangerschaft oder bei Gebärmutter-Operationen in den Wechseljahren).
  • Bei einem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch

Übrigens: Der Wirkstoff Misoprostol wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) schon 2009 auf die „Lists of Essential Medicines“ gesetzt. Darauf finden sich Arzneimittel, die benötig werden, um die wichtigsten gesundheitlichen Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen.

Es gibt kaum Alternativen!

In ihrem Offenen Brief merken die Organisationen für Frauengesundheit an, dass es nur zwei Wirkstoffe gibt, die als Ersatz dienen könnten. Jedoch sind beide Präparate wegen einer zu niedrigen Dosierung oder einem hohen bürokratischem Aufwand keine wirkliche Alternative.

Dass der Hersteller von Cytotec eine formale Zulassung beantragt, halten die Organisationen auch für unwahrscheinlich. Denn aktuell wird der Wirkstoff schon weltweit genutzt. Der Antrag wäre also mit zusätzlichen Kosten für den Hersteller verbunden.

Die Forderung: Den erschwerten Zugang zu Cytotec zurückzunehmen

Aus dem Offenen Brief geht ganz klar hervor, dass der Importstopp von Misoprostol schwerwiegende Folgen für Fragen haben könnte:

„Eine Erschwerung des Zugangs zu Cytotec® ist die falsche Konsequenz. In der Folge wird die medizinische Betreuung von Frauen schlechter! Die Betreuung von Frauen in Notsituationen (insbesondere solchen, die tabuisiert sind) ist gefährdet!“

Deswegen beenden die Organisationen ihren Brief mit einer klaren Forderung an die deutsche Politik:

„Wir fordern Sie daher auf, die Versorgung der Frauen in Deutschland mit Misoprostol in den jeweils benötigten Dosierungen zu gewährleisten und den erschwerten Zugang zu Cytotec® zurückzunehmen.“

Quellen