Geburtsschäden sind natürlich…warum spricht dann keiner darüber?

Bei einigen Geburten kommt es zu Geburtsschäden. Sie sind eigentlich gar natürlich - trotzdem reden betroffene Frauen ungerne darüber. Unsere Autorin nimmt aber klein Blatt vor den Mund.
Eigentlich müsste ich jetzt schreiben, dass es um die Bekannte einer Freundin geht. Denn wer möchte schon zugeben, dass er durch die „natürlichste“ Sache der Welt einen „Schaden“ davongetragen hat? Wenn die „sanfte Geburt“ überall thematisiert wird, scheinen bleibende Schäden und Wunden ja unmöglich,oder?  Tatsächlich hat aber die Geburt meines dritten Kindes, mangelnde Nachsorge und eigene Scham bei mir einen körperlichen Geburtsschaden hinterlassen.  

… meine Hebamme kontrollierte die Wundheilung nicht weiter.

Unser drittes Kind war mit viereinhalb Kilogramm ziemlich schwer. Außerdem kam sie als Sternengucker und mit vor der Brust verschränkten Armen auf die Welt. Unter der Geburt hat das bei mir zu einer Wunde geführt, die im Anschluss medizinisch versorgt wurde und von mir durch all die Hormone (und gute Kühlung) nicht so sehr bemerkt wurde.

Das ist nicht gut verheilt und sollte operativ korrigiert werden

Knapp acht Wochen später war ich zur Nachsorge bei meinem Frauenarzt. Dieser zückte mit einem Mal einen kleinen Spiegel und zeigte mir auf dem Stuhl liegend meinen Intimbereich mit den Worten: „Das ist nicht gut verheilt und sollte operativ korrigiert werden.“ Mein Frauenarzt ist eigentlich ein sehr einfühlsamer und fürsorglicher Arzt. Ich glaube nicht, dass ihm klar war oder ist, wie schrecklich dieser Moment für mich war. Denn zwei Monate nach der dritten Entbindung hatte ich mich mit der Optik meines Intimbereichs genau null Minuten beschäftigt. Rückbildung ja, aber mit dem Spiegel mal so geguckt? Eher nicht.  Der Anblick hat mich lange verfolgt und mir viel Entspanntheit genommen. Auch sein Nachsatz „Das wird von der Kasse übernommen. Das ist ja ein Geburtsschaden.“ wirkte lange nach. „Genießen Sie jetzt erst einmal Ihr Baby und lassen das ganz in Ruhe im nächsten Sommer machen.“ Dieser Nachsatz entspannte mich – überraschenderweise - nicht im Entferntesten.

Da ist etwas anders, als es das zuvor gewesen ist.

Merke ich das im Alltag, das meine Schamlippen nicht korrekt verheilt sind? Ja, ich bin empfindlicher geworden. Vielleicht wäre das auch ohne diese nicht richtig verheilte Stelle. Vielleicht ist es eine der Veränderungen des Körpers, die nach drei Geburten ganz normal sind. Aber: Es fühlt sich nicht richtig an. Ich merke es beim Yoga und im Wasser. Da ist etwas anders, als es das zuvor gewesen ist. Voher war mir Intimchirurgie als Thema so nah wie die Mondlandung. Jetzt ist es etwas, womit ich mich beschäftige. Meine (Vor)Urteile, die ich hatte, helfen dabei nicht wirklich. Ich fand es übertrieben und albern, ausgerechnet in diesem intimen und empfindlichen Bereich ohne absolute Notwendigkeit herumschneiden zu lassen. Absolut notwendig ist eine Operation bei mir vermutlich nicht. Ich werde nicht sterben ohne eine Korrektur dieser Stelle. Es ist auch kein Thema, das zwischen meinem Mann und mir stehen würde. Er hat noch nie etwas Negatives gesagt, sondern eher verdeutlicht, dass für ihn alles gut ist und er mich immer wunderschön findet. (Andere Kommentare von einem Mann sollten in so einer Situation im Übrigen nie zum Chirurgen, sondern bitte direkt zum Scheidungsanwalt führen.) Es beeinträchtigt mich in keinem Bereich meines Lebens total. Dennoch bleibt es ein doofes Gefühl und es ist eine Veränderung, die ich nicht besonders schätze (vorsichtig ausgedrückt).

Die Makellosigkeit scheint noch immer vor der Gesundheit zu kommen

Mittlerweile habe ich unser viertes Kind bekommen. Eigentlich wäre in diesem Sommer ein guter Zeitpunkt für eine Operation gewesen. Aber ich schiebe es. Ich mag bereits Standardbesuche bei allen Ärzten mit einem speziellen Stuhl nicht sonderlich und eine Operation erscheint mir grauenhaft. Also schiebe ich und schiebe und habe diesen „Makel“ im Hinterkopf. Spreche ich ehrlich ich mit anderen Frauen, berichtet die ein oder andere vorsichtig von eigenen Erfahrungen. Viele haben den Kreißsaal als entmündigenden Ort empfunden und haben eher psychisch als physisch Schaden genommen. Aber einige erzählen von einem nicht mehr so guten Beckenboden und einer Scham, darüber zu sprechen. Das sind Themen, die bestimmt mindestens zwei Generationen nach uns beschäftigen werden. Denn: Frauengesundheit – nicht nur, aber vor allem im Intimbereich – ist sehr schambehaftet. Da freue ich mich richtig, dass es Beckenbodentrainer mittlerweile in Drogeriemärkten zu kaufen gibt. In unserem Frauenbild scheint die Makellosigkeit noch immer vor der Gesundheit zu kommen. Das wäge ich für mich gerade ab: Stört es mich so sehr, dass ich es anpassen lassen muss? Ist eine Operation für mich eine so kleine Sache? Oder lebe ich jetzt damit, wie mit den Falten, den blasser werdenden Schwangerschaftsstreifen und dem veränderten Bindegewebe?

Wer eine Verletzung durch die Geburt hat, braucht Kontrolle

Wenn ich heute Texte zum Wochenbett lese, liegt der Schwerpunkt auf Ruhe, sich verwöhnen lassen und Besuch gut koordinieren. Das sind alles wichtige Punkte, sowohl für das Baby als auch für die Frau. Aber wie wichtig Nachsorge ist, wie wichtig es ist, selbst die Wundheilung zu kontrollieren und auf die entsprechende Kontrolle der Hebamme zu bestehen – darüber habe ich bislang kaum einmal ein Wort gefunden. Das ist aber mehr als wichtig. Feelgood-Tüdelüt alleine hilft gesundheitlich nicht ausreichend. Wer eine Verletzung durch die Geburt hat, braucht Kontrolle. Auch wenn es sich unangenehm anfühlt, bei jedem Besuch sollte die Hebamme schauen, ob alles richtig verheilt. Denn neben der Entwicklung des Babys sollte die Gesundheit der Mutter den gleichen hohen Stellenwert haben.